S. Bellofatto: Die italienische Küche in der Schweiz.

Cover
Titel
Die italienische Küche in der Schweiz. Wahrnehmung – Vermarktung – Etablierung


Autor(en)
Bellofatto, Sabina
Reihe
Zürcher Italienstudien (3)
Erschienen
Zürich 2017: LIT Verlag
Anzahl Seiten
347 S.
von
Maren Möhring

Mit ihrer 2015 an der Universität Zürich verteidigten Dissertation über die italienische Küche in der Schweiz hat Sabina Bellofatto einen auf breiter Quellenbasis erarbeiteten Überblick über die Geschichte der Wahrnehmung, Vermarktung, Rezeption und Etablierung italienischer Speisen in der Schweiz verfasst, der auch jenseits eines Fachpublikums auf Resonanz stossen wird. Ihr Fokus liegt auf der imaginären Dimension, d. h. auf der Entstehung und Veränderung kulinarischer Fremd- und Selbstbilder, die sie im Kontext der dominanten italienischen Migration in die Schweiz für den Zeitraum vom sog. Italiener-Abkommen 1948 bis Mitte der 1970er Jahre untersucht. Dabei versteht sie weder die Schweiz noch Italien als einen einheitlichen Raum mit homogener Nationalküche; vielmehr interessiert sie sich für spezifische transnationale Austauschprozesse und regionale Differenzierungen, wobei der Schwerpunkt klar auf der Deutschschweiz liegt. Ihre Untersuchung stützt sich, neben einer Vielzahl von (lokalen) Printmedien, vor allem auf den auflagenstarken Schweizerischen Beobachter und die Migros-Zeitung Wir Brückenbauer. Weiter wurden zahlreiche Kochbücher, Speisekarten und Reiseführer sowie Archivalien der Rorschacher Konservenfabrik herangezogen, die als erstes Unternehmen in der Schweiz Teigwaren in Dosen anbot. Ergänzt werden diese Quellen durch statistisches Material und die Jahresberichte der Migros und Coop sowie der italienischen Tourismuszentrale (ENIT).

Bellofatto verbindet in ihrer Studie migrations- und konsumhistorische Perspektiven und definiert die kommerziell angebotene italienische Küche als ein «Massekonsumprodukt» (S. 19), das nach 1945 – nicht nur in der Schweiz – mit Vorstellungen von Modernität und hedonistischem Genuss verknüpft wurde und damit Distinktionsbedürfnisse der Konsument:innen erfüllte. Die Arbeit ist thematisch, nicht strikt chronologisch aufgebaut und beginnt mit einem Kapitel, das Schweizer Hetero- und Autostereotype über die italienische und Schweizer Küche mittels prägnanter Quellenzitate – «wir essen Rösti und keine Vögel und Katzen» (zit. nach S. 62) – herausarbeitet. Zudem zeigt die Autorin, wie im Laufe der 1960er Jahre die Ernährungsgewohnheiten der italienischen Migrant:innen zunehmend ins Visier migrationsfeindlicher politischer Bewegungen gerieten. Die Bedeutung kulinarischer Stereotype für die Klassifizierung bzw. Abqualifizierung bestimmter Gruppen wird hier sehr klar herausgestellt. Weniger überzeugend ist hingegen die Kopplung wachsender Überfremdungsängste mit der zunehmenden Zahl von Migrant:innen aus dem Süden Italiens; hier wäre m. E. eine stärkere Reflexion auf rassistische Eigenlogiken denn auf die tatsächliche Grösse einer bestimmten Migrantengruppe angezeigt, denn bekanntlich gedeiht Rassismus auch ohne die Präsenz als ‘anders’ gelabelter Personen.

In einem besonders reich illustrierten Kapitel wertet Bellofatto bisher noch wenig beachtete Werbeanzeigen und -filme für italienische bzw. italienisch kodierte Lebensmittel aus und zeigt, wie Amerikanisierungs- und Internationalisierungsstrategien bei der Vermarktung mit der Zuschreibung von italianità interagierten. Spannend ist die für die Schweiz spezifische Rolle des Tessins, wurden doch in den frühen 1950er Jahren die Ravioli der Rorschacher Konservenfabrik noch mit Tessin-Bildern und damit als einheimische Spezialitäten beworben, bevor Ende der 1950er Jahre italienische Motive gewählt wurden – zeitgleich mit dem deutlich gewachsenen Italientourismus.

Im Zuge des Auslandstourismus fanden Eierspeisen und Kartoffeln Eingang in die Speisekarten in Italien, wie die Autorin zeigt. In der Schweiz wiederum vervielfältigte sich das Gemüse- und Obstangebot; ab 1960 wurden Artischocken, Fenchel, Peperoni, Zucchetti und Auberginen nicht nur aus Italien importiert, sondern auch selbst angebaut. Die anschliessende Analyse der Schweizer Kochbuchliteratur zeigt zum einen, dass bereits seit Ende der 1940er Jahre Tessiner Gerichte, bald auch als italienisch deklarierte Speisen einen festen Bestandteil von Rezeptsammlungen in der Schweiz bildeten – und damit früher als in anderen Ländern. Zum anderen thematisiert Bellofatto die zahlreichen Adaptionen, die vorgenommen wurden, wie die Verwendung von Tomatenpüree statt frischer Tomaten oder die Popularisierung (und Helvetisierung) der Pizza als einer Art Wähe.

Das letzte Kapitel der Dissertation widmet sich der Geschichte der italienischen Gastronomie (in Zürich) und des Handels mit italienischen Lebensmitteln. 1963 war die Schweiz nach der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich der drittgrösste Abnehmer italienischer Erzeugnisse. Bellofatto unterstreicht die Rolle italienischer Migrant:innen für diesen intensivierten Aussenhandel: Das Warensortiment bei Coop und Migros wurde nicht zuletzt aufgrund dieses Kundenkreises italianisiert, wie sie anhand von Werbeanzeigen, die sich explizit an eine italienische Kundschaft wendeten, belegt. Spätestens Mitte der 1970er Jahre aber war die Nachfrage auch auf Seiten der nicht-italienischen Bevölkerung der Schweiz so weit gestiegen, dass italienische Produkte sich fest im Schweizer Warensortiment etabliert hatten.

Indem Bellofatto die Analyse der widersprüchlichen Italienbilder und -narrationen, wie sie in der Werbung einerseits und in Diskursen über Assimilation und Überfremdung andererseits zirkulierten, mit quantitativen Aussagen über den wachsenden Aussenhandel verknüpft, gelingt ihr eine mehrdimensionale und zugleich anschauliche Darstellung der Geschichte der italienischen Küche in der Schweiz. In Übereinstimmung mit vergleichbaren Transferstudien kommt die Autorin zu dem Schluss, dass nicht die italienische Küche in die Schweiz importiert wurde, sondern etwas kulinarisch Neues geschaffen wurde: eine schweizerisch-italienische «Koproduktion» (S. 260). Das Ziel, die Beteiligung der italienischen Migrant:innen an dieser Koproduktion aufzuzeigen, hat Bellofatto erreicht, auch wenn sie die Rolle italienischer Migrant:innen als aktive Vermittler:innen in den von ihr untersuchten kulinarischen Hybridisierungsprozesse eher gering einschätzt; die lediglich temporären Aufenthaltsbewilligungen wie auch Überfremdungsängste auf Schweizer Seite hätten einer solchen kulturellen Mittlerfunktion enge Grenzen gesetzt.

Viele Fragen nach konkreten Transferwegen und Modi der Beeinflussung und Aneignung müssen aufgrund fehlenden Quellenmaterials zwangsläufig offenbleiben. Auch die avisierte regionale Differenzierung – und damit eine genauere Beschreibung der in der Forschung meist pauschalisierend als transnational deklarierten Austauschprozesse – bleibt eher blass. Dasselbe gilt für Differenzierungen nach Schicht oder Geschlecht, die nur in Ansätzen einbezogen werden. Überraschend ist zudem das Ende des Buches, das mit der Feststellung schliesst, dass es nicht zuletzt die Vielfalt und Kombinationsmöglichkeiten sind, welche die italienische Küche so erfolgreich machen. Denn dasselbe liesse sich auch für die türkische Küche behaupten, die trotzdem global keinen vergleichbaren Siegeszug angetreten ist. Es scheinen demnach weniger intrinsische Merkmale einer (stets im Wandel befindlichen) Küche zu sein als vielmehr kontextspezifische soziokulturelle und ökonomische Bedingungen, die einer Küche zum Durchbruch verhelfen – Faktoren also, welche die Autorin mit ihrer detaillierten Analyse der Italien-Images und des Warenhandels überzeugend herausgestellt hat.

Zitierweise:
Möhring, Maren: Rezension zu: Bellofatto, Sabina: Die italienische Küche in der Schweiz. Wahrnehmung – Vermarktung – Etablierung, Zürich 2017. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 71 (2), 2021, S. 396-398. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00088>.

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